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Start:   Alt-Hohenschönhausen
(Tram M5/M13/27)
Ende:   Freiaplatz
Abkürzung: Teilstrecke mit Tram
(Tram M13 und M8/21)

Länge:  9 Kilometer
zu Fuß: 3 Stunden

„Eine Weiße, bitte!“ – „Rot oder grün?“ Dieser knappe Dialog könnte so in jedem Lichtenberger Biergarten geführt werden. Kenner:innen des Berliner Biergeschmacks wissen, dass es sich bei der original Berliner Weiße um ein säuerliches, obergäriges Weizenbier handelt. Mitte des 19. Jahrhunderts war Berlin zweifelsfrei die Bierhauptstadt Europas. Das hier gebraute Bier nannten die französischen Soldaten Napoleons den „Champagner des Nordens“. Anfang des 20. Jahrhunderts kam die Idee auf, das Bier mit Waldmeister oder Himbeersirup zu versüßen. Heute darf nur Berliner Weiße genannt werden, wenn das Bier auch in Berlin gebraut wird. Etliche Orte von Bedeutung für die Berliner Braukunst sind in Lichtenberg zu finden.

Lichtenberg war und ist ein Bezirk für Erfinder:innen – heute nennen wir solche Unternehmungen „Start-ups“. Seit Generationen tüfteln hier kluge Köpfe. Im heutigen Bürgerschloss Hohenschönhausen lebte der Erfinder Paul Schmidt von 1910 bis 1929. Mit seinen Patenten ist er einer der Pioniere der Moderne, ohne die viele Entwicklungen des 20. Jahrhunderts nicht möglich geworden wären. Dank der Mitgift seiner Frau konnte er die „Elektrotechnische Anstalt Paul Schmidt“ gründen und erhielt im März 1896 für sein „Galvanisches Trockenelement mit Flüssigkeitsvorrat“ das Patentrecht. Trockenbatterien konnten damit in großen Stückzahlen produziert werden. Das heute noch gültige Standardmaß für Taschenlampenbatterien geht auf ihn zurück. Zehn Jahre später wurde schließlich das Patent für die „Elektrische Taschenlaterne“ für Schmidt registriert – die Taschenlampe war erfunden. Und noch eine Schöpfung geht auf ihn zurück: Unter dem Namen „Handy“ wurde 1937 ein handliches Taschenlampenmodell als Warenzeichen eingetragen. Das Maß war eine Handfläche.

Eine der großen Berliner Brauereien eröffnete Ende des 19. Jahrhunderts in Hohenschönhausen: die Löwenbrauerei AG. Ein stark verwittertes Relief an der einstigen Verwaltungsvilla zeigt einen liegenden Löwen vor den Gebäuden der Brauerei. Nur die Mälzerei hat den Zweiten Weltkrieg überstanden und diente fortan dem VEB Bärensiegel als Lager. 2002 wurde das Backsteingebäude zum Seniorenheim umgebaut.

Sehr fortschrittlich dachte man vor über 100 Jahren bereits über das für den Brauprozess nötige Brauchwasser: Dafür füllte man mehrere nahegelegene Senken mit Wasser. Dieser See – der heutige Obersee – diente nicht nur als Wasserspeicher, er lieferte im Winter auch das Eis für die Kühlung des Bieres.

Nicht „ein helles Blondes“, sondern einfach nur Wasser lieferte der markante Wasserturm, der über dem Obersee thront. Ab dem Jahr 1900 diente er als Speicher zur Versorgung der Haushalte der umliegenden Villen mit Trinkwasser. Auch die Löwenbrauerei war an die Wasserleitungen angeschlossen.

Ein Goldjunge mit einem Krug ist das Markenzeichen einer anderen bekannten Berliner Brauerei: Berliner Kindl. In den 1920er Jahren verlegte die Kindl-Brauerei ihren Verwaltungssitz, Produktion und Mälzerei nach Höhenschönhausen. Markant ist der 33 Meter hohe Siloturm. Nach 1949 gehörte die Brauerei zum VEB Getränkekombinat Berlin. Nach wie vor wird hier in der Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei auch das Berliner Pilsner produziert. Die Architekten Hans Claus und Richard Schepke konzipierten 1929 eine Fabrikanlage mit klaren Formen und zum großen Teil fensterlosen Wandflächen im Stil des Expressionismus. Schlanke Rundbogenblenden sorgen für den Rhythmus der Fassaden.

Landschaftspark Herzberge

Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei

Fahrsimulator BVG

Mit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert wurde Lichtenberg zu einem der wichtigen Industriestandorte am Rande Berlins. Und mit den vielen nach Berlin ziehenden Arbeitern kamen dankbare Abnehmer:innen für das Berliner Bier dazu. Die Freiflächen des ehemaligen Rittergutes Lichtenberg wurden mit den Fabrikgebäuden bebaut. Als Verbindungsstraße baute man zusätzlich zu den ersten Bahnlinien die Herzbergstraße in West-Ost-Richtung für den Transport der Güter aus. Viele der ehemaligen Großbetriebe gibt es seit der Wende nicht mehr. Geblieben ist eine erstaunliche Anzahl ehemaliger Fabrikbauten, die mittlerweile unter Denkmalschutz stehen und heute viel Fläche für neue und kreative Unternehmensideen bieten. Über der Herzbergstraße 55 steht zu lesen: BEROLINA. 1909 vom Architekten Karl Schramm errichtet, zeugt vor allem das Vorderhaus durch seine repräsentative Gestaltung mit Jugendstilelementen vom Reichtum seines Bauherrn. Über zwei Geschosse reicht die Bossierung des Mauerwerks, wodurch das Gebäude durch die anscheinend grob behauenen Steinblöcke eine repräsentative Größe erreicht. Wie üblich befanden sich die Fabrikgebäude auf der Rückseite der Häuser. So auch hier: 90 Meter erstreckt sich das Grundstück in die Tiefe: Hier wurde Margarine als Butterersatz produziert – auch noch zu DDR-Zeiten. 2007 wurden die Gebäude zu Ateliers, Werkstätten, Studios und Hallen für Kreative und kleinere Gewerbebetriebe umgebaut.

Ein weiteres Beispiel, wie beeindruckende Bausubstanz alter Großbetriebe heute eine neue Nutzung erfährt, ist die Herzbergstraße 82. Hier produzierte die Aktiengesellschaft für Automobilbau (AGA) bis zu 21 PS starke Automobile. Den Bankrott des Unternehmens 1924 überdauerte nur der imposante dreiflügelige Bau. Ab 1940 beherbergte das Gebäude den Reichsfiskus und ab 1949 Teile des Kombinats „Großhandel Waren des täglichen Bedarfs“. Mittlerweile ist in das großzügige Areal neues Leben zurückgekehrt. Der „Herzberg Campus“ ist Standort junger Unternehmen und Dienstleister sowie sozialer Einrichtungen.

Die Herzbergstraße führt in ein unerwartetes Paradies: Das Grün der Biotope im Landschaftspark Herzberge öffnet Orte zum Entspannen und für sportliche Aktivitäten. Der Kontrast zu den Zeugen des industriellen Durchbruchs könnte nicht größer sein. Die 100 Hektar große Grünanlage mit Obstwiesen, Wald und Teichen des Landschaftsparks Herzberge mitten im Industriegebiet Lichtenbergs hat allein aufgrund ihrer Lage einen ganz besonderen Charme. Sie entstand aus ehemaligen Gewerbe-, Bahn- und Brachflächen. Seit 2019 ist der Park offiziell ein Landschaftsschutzgebiet. Mittlerweile fühlen sich hier zahlreiche Tierarten zu Hause. Highlights sind vor allem die Pommerschen Landschafe, die hier weiden. Eine schöne Naturerfahrung mitten in der Großstadt sind die Fütterungen und die Schur durch den Schäfer. Gleich neben dem denkmalgeschützten Krankenhaus Königin Elisabeth liegt das Museum Kesselhaus Herzberge, das in einer Ausstellung die reichhaltige Berliner Industriekultur der letzten 200 Jahre würdigt.

Was wären die Straßen Lichtenbergs ohne die Straßenbahnen mit ihrem Schnurren und Rattern? Berliner Straßenbahnen umrunden heute jeden Tag 1,3 mal die Erde. Der Betriebshof in der Siegfriedstraße wurde bereits 1913 errichtet und galt seinerzeit als weltgrößtes Straßenbahndepot. Bis Ende der 1920er Jahre gab es in Berlin mehrere Betriebe, die den Personennahverkehr mit Straßenbahn, Omnibus oder U-Bahn bedienten. Ein fast 900 Quadratkilometer großes Stadtgebiet mit abgestimmten Fahrplänen und Preisen gelang erst mit Gründung der Berliner Verkehrsbetriebe. 20 Pfennig musste ein Fahrgast für eine Fahrt mit einmaligem Umstieg damals bezahlen.

Im Ausbildungszentrum der Verkehrsbetriebe werden die Tramfahrer:innen geschult. Zur praktischen Ausbildung gehört das Training auf dem Fahrsimulator. Auf 64 Streckenkilometern werden verschiedene Szenarien simuliert – auch Extremsituationen wie Nebel, Regen, Schnee oder Glatteis. Zusätzlich werden komplexe Haltestellenszenarien, technische Fahrzeugstörungen sowie Verkehrssituationen mit Stau oder Vorfahrtsverletzungen geübt.

Wer auf das Rattern der Straßenbahnen auch privat nicht verzichten mag, zieht am besten in eine der Wohnungen der BVG-Siedlung in Nachbarschaft des Betriebshofs. Die Gemeinnützige Heimstättengesellschaft der Berliner Straßenbahn GmbH ließ im Nibelungenviertel von 1925 bis 1930 für ihre Mitarbeiter:innen zwei Wohnblocks mit großen begrünten Innenhöfen errichten. Der nördliche Block wurde erst später realisiert und verfügte bereits über Zentralheizung.

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